Die polarisierte Gesellschaft, in der wir heute leben, ist phasenweise schwer zu ertragen. Ich bin studierter Meteorologe mit Vertiefung auf die Wettervorhersage. Entsprechend war Klimatologie nur ein Teilgebiet meines Studiums. Natürlich interessierte es mich trotzdem und wenn man größere Zusammenhänge von Wetterphänomenen wie Tornados, Hurrikans und Extremereignisse wie Hitze, Dürre sowie langfristige Trends wie Gletscherschwund und Meeresspiegelanstieg verstehen will, kommt man um Klimatologie nicht herum. Im Jahr 2007 war gerade der IPCC-Report in aller Munde, ich hielt daraus einen Seminarvortrag über Tornados, der in meinen Augen das Risiko einer Zunahme überdramatisierte. Dieser Meinung bin ich auch noch heute. Ebenfalls gab es damals einen Artikel über Hurrikane, mit unklarer Schlussfolgerung, zu kurze Erfassungsreihe für klimatologische Aussagen, keine klare Zunahme erkennbar. Heute wissen wir, dass die Anzahl zwar weiterhin hochvariabel ist, aber die Intensität in Einzelfällen (z.b. DORIAN) zugenommen. Grund dafür ist der treibende Motor für starke bis verheerende Hurrikane: Die Erwärmung der Ozeane. Diese bewirkt außerdem, dass langsam ziehende Tropenstürme (z.b. HARVEY) größere Niederschlagsmengen abladen als vor der Erwärmung, weil wärmere Luft mehr Wasserdampf aufnehmen kann. Die Polarisierung macht allerdings vor Verallgemeinerungen und Vermengungen von Klima und Wetter nicht Halt. Das betrifft Skeptiker und FridaysforFuture-Aktivisten und deren Anhänger gleichermaßen. Nicht jedes Sturmereignis, jede außergewöhnliche Föhnlage und jedes Unwetter ist eine Folge des Klimawandels. Laien können das selten beurteilen, ihnen fehlt der Kontext, sprich Zeitreihen mit Jährlichkeiten von Extremereignissen. Zugespitzt formuliert ist Klima der Durchschnitt von Extremwerten. Seit es meteorologische Aufzeichnungen gibt, werden Rekorde gemessen, Ausschläge nach unten und nach oben gibt es immer wieder. Manchmal spielen äußere Faktoren eine Rolle. Wetterstationen wie etwa die im Garten der Uni Innsbruck standen vor 100 Jahren noch am Stadtrand, heute sind sie von dichter Bebauung umgeben. Flächenversiegelung (Landwirtschaft, Straßen, Bebauung) sorgt für stärkeren Oberflächenabfluss von Niederschlag und höhere Überflutungsgefahr. Man kann Einzelereignisse richtig einordnen, ohne in Hysterie zu verfallen, und trotzdem auf die Dringlichkeit von Handlungsbedarf hinweisen. Sei es der dramatische Gletscherschwund oder wie aktuell die verheerenden Waldbrände in Australien, aber auch im Regenwald und in Afrika, wobei sie in letzterer Region nicht als Katastrophe gelten – im Gegenteil.
Auch in Australien sieht man die Zunahme der Durchschnittstemperatur im Laufe des letzten Jahrhunderts.
Und vergangenen Donnerstag, 19. Dezember, wurden den dritten Tag in Folge kontinentweit neue Temperaturrekorde aufgestellt:
Aber man muss gar nicht so weit schauen, vergangene Woche wurden auch in Österreich dutzende Stationsrekorde aufgestellt, infolge kräftigen Südföhns, mit 21,3°C in Feldkirch und 20,1°C in Salzburg-Flughafen. Nach dem ungewöhnlich föhnreichen November nun auch vor Weihnachten eher frühlingshafte Temperaturen, nicht zu verwechseln mit dem klassischen Weihnachtstauwetter, das durch Westwetterlagen und nicht Südlagen zustande kommt, und früher höchstens kurzzeitig knapp zweistellige Höchstwerte verursacht hätte. Heute sind 13, 14°C oder höhere Werte mit durchziehenden Sturmtiefs Normalität.
Dann aber bemerkt man nicht, dass sonderlich auf die laufende Zuspitzung der Erwärmung reagiert wird. Die Australische Rechts-Regierung ignoriert die Dramatik, beim letzten Klimagipfel in Madrid wird um Formulierungen gestritten, vorangegangen ist nichts. In Deutschland sind die Klimamaßnahmen halbherzig, in Österreich sind Querelen innerhalb der Parteien wichtiger. Dass die neue türkisgrüne Regierung eine Kehrtwende einschlägt, erscheint unwahrscheinlich, wurde doch unter der türkisbraunen Vorgängerregierung noch beschlossen, Umweltverträglichkeitsprüfungen zu erschweren und den Ausbau wichtiger Bahnprojekte zu verzögern.
Und zuletzt ist Greta Thunberg in aller Munde und die Medien stürzen sich auf sie wie sonst nur auf die Royal Family der britischen Königin. Jede Wortspende und jedes Foto wird aufgeblasen, wie zuletzt ihr Sitzplatz im überfüllten Zug und die tragikomische Reaktion der Deutschen Bahn darauf. Eine Art Publicity, die rasch zur Sättigung führt und unempfänglich für die wirklich wichtigen Anliegen Thunbergs und der FridayforFuture-Bewegung werden lässt. Die Journalisten lassen ihre Filterfunktion vermissen, aber das ist ja nichts Neues, wenn man sieht, wie den Neuen Rechten in den Allerwertesten gekrochen wird. Wissenschaftler sind eigentlich zum Forschen da, aber jetzt müssen sie warnen, in die Öffentlichkeit gehen, gerade jetzt, wo die führenden Politiker aus aufgeblasenen Egos bestehen, mit Hang zu autoritärem Führungsstil, an denen jede sachlich fundierte Kritik abprallt, so wie bei ihrer wachsenden Schar an Anhängern, die mit Logik und Hausverstand nicht mehr erreichbar sind. Die kognitive Regression kommt zur falschen Zeit, denn JETZT ist Zeit zum Handeln, also sie war schon vor 40 Jahren, aber jetzt erleben wir die Auswirkungen der beschleunigten Erderwärmung hautnah mit, wie etwa im südlichen Traunviertel, wo immer mehr Brunnen aufgrund der Trockenheit versiegen. Der Erdrutschsieg von Johnson zeigte, je älter, desto konservativer und desto unsolidarischer, denn die Generation 50+ wird zwar die dramatischen Folgen noch erleben, aber das wirklich dicke Ende betrifft die Neugeborenen und die Milleniumskinder. Stattdessen: Nach mir die Sintflut. Wie die trefflichen Analysen von Natascha Strobl auf Twitter zeigen, rückt konservativ zunehmend nach rechts, was weiter polarisiert und für Sachargumente unzugänglich macht. Durch die Schwäche der Sozialdemokraten bzw. Linken weltweit wird es noch schwieriger, das JETZT erforderliche Handeln umzusetzen. Stattdessen ermüden wir uns in endlosen Personaldebatten und PR-Fettnäpfchen.