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Klimanotstand: Gute und schlechte Argumente (Falter-Dolm der Woche)

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Klassische Vb-Lage: Trajektorie des Höhentiefs vom 20.-24.August 2005 (Alpenhochwasser)

„Bei einem Notstand, so der Politiker, gehe es schließlich um Gefahr in Verzug. Und man kann sich denken, welche Bilder in Langs Kopf auftauchen: Überschwemmungen, Murenabgänge, Menschen in Schlauchbooten, Wetterkapriolen. Es sind genau solche Situationen, die das aus dem Takt gekommene Klima bedingt.“ (Falter 32/19, S.10)

Klima beschreibt einen längeren Zeitraum (mindestens eine Dekade, im Schnitt betrachtet man 30 Jahre), während Wetter ein kurzer Zeitabschnitt umfasst (Minuten bis wenige Tage). Witterung liegt dazwischen mit mehreren Tagen bis Wochen, z.b. gekennzeichnet durch bestimmte Wetterlagentypen oder Jahreszeiten.

Die genannten Ereignisse beziehen sich hauptsächlich auf Extremniederschläge, wobei die räumliche und zeitliche Skala sehr unterschiedlich sein kann. Murenabgänge sind fast ausschließlich die Folge kleinräumiger und kurzlebiger Niederschlagsereignisse – WETTER – und hängen nicht direkt mit dem Klimawandel zusammen, sie gab es schon immer. Die Alpen sind nun einmal kein statisches Gebilde, sondern ständiger Erosion und Landschaftsveränderung unterlegen. Was aber definitiv zugenommen hat, sind die Eingriffe des Menschen mit Bodenversiegelung, Kanalisierung von Bachbetten und Landwirtschaft (Äcker statt Wälder) bzw. auch Forstwirtschaft (stabile Hänge werden durch Forstwege durchschnitten). Sprich, der Einfluss des Menschen hat einen direkten Einfluss auf potentielle Versicherungsschäden und menschliche Opfer. Das betrifft genauso Überschwemmungen, wenn in potentielle Hochwasserflächen gebaut wird, oftmals illegal. Bei regionalen und überregionalen Hochwässern (also größere Bäche und Flüsse, bei denen kleinräumige Extremniederschläge nicht ausreichen, um die Pegelstände dramatisch steigen zu lassen) wirken sich Bodenversiegelung im Einzugsgebiet und entlang potentieller Überschwemmungsflächen noch viel stärker aus. Wenn im Oberlauf stark reguliert wurde, wird der Wasserstand im Unterlauf entsprechend höher sein. Ich wuchs am Bayrischen Untermain auf und bekam die Folgen von Hochwasserschutz ganz lokal mit. Dort wo der Main eine Biegung macht, wurde durch den flussaufwärtigen Hochwasserschutz die Strömung verschärft und überschwemmte dafür mehr die Orte weiter flussabwärts.

Schlauchboot-Veranlassung gab es natürlich schon in früheren Jahrhunderten auch schon, man denke nur an das berühmte Magdalenenhochwasser von 1342, das seltener als ein 1000-jährliches Hochwasser eintritt. In Mitteleuropa werden außerdem noch 1909, 1954 und 1970 genannt, am Inn außerdem 1960, 1965, 1965, 1975, 1985. Die Wasserstände aus der unregulierten Zeit wurden aber vielfach nicht mehr erreicht. In jüngerer Vergangenheit fallen 1993 und 1995 (Rhein, Main, Mosel, Deutschland), bzw. 1997 (Oder) und 2002 (Elbe, Donau) bzw. 2003 (Main) ein. 2005 folgten erneut Inn und Donau, 2006 ein ausgeprägtes Winterhochwasser an der Elbe, das im Unterlauf höhere Wasserstände als 2002 erreichte, sowie an der March. Als nächstes ein Winterhochwasser 2010 (Donau, Elbe/Oder). Im Januar 2011 kam es zu einem zweiwöchigen Mainhochwasser. Das letzte große Ereignis fand im Juni 2013 statt (Jahrtausendhochwasser Donau, höchster Wasserstand in Passau seit 500 Jahren).  Kärnten war 2012 besonders betroffen, mit Jahrhunderthochwasser in Lavamünd an der Drau. Die Statistik ist natürlich subjektiv gefärbt, alles, was vor 1950 war, ist nicht unbedingt präsent, wenn man später geboren wurde.

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Quelle: https://www.co2levels.org/, schwarz markiert große Hochwasserereignisse im D,A,CH -Raum.

Die Statistik scheint das Gefühl zu decken, dass große Hochwasserereignisse mit steigendem Kohlendioxidgehalt zugenommen haben, doch steckt der Teufel im Detail:

  • Welche Regionen werden betrachtet? Ein Land, der Alpenraum, Mitteleuropa, ganz Europa?
  • Welche Flussgrößen werden betrachtet? Kleinere Flüsse wie Inn, Main, Mosel und Mur, oder große Flüsse wie Drau, Aare, Oder, Rhein oder Elbe?
  • Winter- oder Sommerhochwasser? Mit der Abnahme an Schneefalltagen bis in tiefe Lagen steht weniger Potential für große Schmelzhochwässer zur Verfügung, auch die Eisstau-bedingten Hochwasserereignisse, die vor allem vor 1950 häufiger auftraten, sind so gut wie nicht mehr vorhanden. 1997, 2002,2005 und 2013 entstanden alle durch klassische Vb/Adriatieflagen im Sommer, teilweise mit neuen Rekordregenmengen (z.b. damals Zinnwald im Erzgebirge: 312 l/qm in 24 Std.)
  • Ab wann ist ein Hochwasser so signifikant, dass es erwähnenswert ist? Richtet man sich nach dem Abfluss oder Wasserstand? Am Grad der Überschwemmung, Sachschäden und Todesopfer?

In Summe gar nicht so leicht, aussagekräftige Statistiken im Kontext der Klimaerwärmung zu verwenden. Ich möchte damit sagen: Murenabgänge, kleine und große Überschwemmungen hat es schon immer gegeben, sie waren vom Ausmaß her der Neuzeit ebenbürtig oder eher noch überlegen. Die Hochwassermarken an städtischen Plätzen und alten Rathäusern oder Kirchen legen beredtes Zeugnis davon ab.

Was ist aber zu erwarten? Dass solche Ereignisse häufiger werden.

Muren werden gefördert durch höhere Schuttverfügbarkeit (Abtauen des Permafrosts und Gletscher)  sowie höhere Niederschlagsraten (wärmere Luft kann mehr Wasserdampf aufnehmen). 1 Grad C Erwärmung bewirkt einen Anstieg der Permafrost-Grenze um 200 Höhenmeter. Auch Steinschläge und Felsstürze nehmen deswegen zu (Quelle). 

Lawinenereignisse in höheren Lagen nehmen tendenziell zu wegen großer Schneemengen (vgl. Jänner 2019) und durch starke Erwärmung und flüssigem Niederschlag bis in große Höhen auch die Gefahr schadensträchtiger Nassschneelawinen.

Waldbrände können eher ein Thema werden, siehe 2003, 2007, 2015 und 2018, überhaupt sind Trockenheit, Dürren, Anzahl der Hitzetage (> 30°C) und ungewöhnlich warmer Nächte ein viel besserer Gradmesser der Klimaerwärmung. Und die Steiermark, von dessem Politiker die Rede ist, halt einen besonders hohen Waldanteil. Es wird erwartet, dass Brände, Trockenheit und Schädlingsbefall den Schutzwald zunehmend beeinträchtigen.

Die von 2015 zitierte Studie oben konnte keine signifikante Zunahme an regionalen/überregionalen Hochwasserereignissen („Menschen in Schlauchbooten“) in Österreich feststellen, auch wenn es eine leichte Zunahme an jährlichen Hochwasserdurchflüssen in den Einzugsgebieten gibt.

„Klimamodelle zeigen zudem, dass Österreich zwar einerseits trockener wird, aber auch, dass sich die Variabilität der Niederschlagsmuster verändern wird. Dabei werden Starkniederschläge in Österreich zwar wahrscheinlich weniger häufig auftreten, aber dafür an Intensität gewinnen. Das wiederum erhöht das Risiko von starken Hochwasserereignissen.“ (Quelle: https://www.global2000.at/klimawandel-oesterreich)

 

Es ist also nicht fix, dass Überschwemmungen zunehmen, aber wenn sie auftreten, sind die Auswirkungen intensiver.

Wetterkapriolen, also rasche Wetterumschwünge, sind jetzt nicht direkt Folge des Klimawandels. Markante Wetterstürze gab es schon immer. Unerwartet meistens dann, wenn man keinen oder nur selektiv den Wetterbericht gelesen hat. Der Sommer 2018 war geradezu durch das Gegenteil gekennzeichnet: Kaum Wetterumschwünge, sondern beständig warm und trocken, mit wenigen Kaltfrontdurchgängen. Auffällig ist hier eher das Gegenteil: Die Phasen mit einem bestimmten (Extrem-) Wetter dauern viel länger an, vom kalten Mai ging es in wenigen Tagen in einen anhaltend heißen Juni. Und nach einer kühlen ersten Julihälfte in eine länger heiße zweite Julihälfte. Schon im vergangenen Jahr gab es dazu anschauliche und gute Erklärungen von (Fernseh-) Meteorologen.

Die Arktische Amplifizierung ist ein Langzeitphänomen, dass durch die unverhältnismäßig starke Erwärmung in den Polregionen (hier: Nordhalbkugel, Arktis) zustandekommt, wodurch sich der Nord-Süd-Temperatur- und Druckgradient abschwächt. Dadurch gerät der im Klimadurchschnitt zonale (West-Ost) Jetstream immer öfter ins Schlingern und bildet großräumige, ortsfeste Auslenkungen. Je nachdem, an welcher Stelle wir innerhalb der Auslenkung liegen, ist es lange Zeit besonders kalt/nass (Mai 2019, Juni 2013) oder besonders trocken und warm (April 2007, Juni 2019). Unter Wetterkapriolen werden aber meist eher kleinräumige und kurzlebige Wetterphänomene verstanden, allerdings lässt sich nicht jedes Unwetterereignis direkt auf den Klimawandel zurückführen.

Der Klimanotstand, der durch manche Gemeinden und Städte ausgerufen wird, ist weniger auf lokal eng begrenztes Extremwetter zurückzuführen, sondern in einer größeren Skala zu sehen: Mir fallen als erstes folgende Phänomene ein: Anhaltende Trockenheit bzw. Dürre mit Missernten, Schädlingsbefall, niedrigem Grundwasser und gefährdeter Versorgung mit Trinkwasser und landwirtschaftlicher Bewässerung. Aufgrund der Überwinterung bestimmter Insekten steigt auch die Gefahr von Tropenkrankheiten an. Andauernde Hitze mit steigenden Tiefstwerten gefährden Gesundheit und wirtschaftliche Produktivität. Das sind alles keine schlagzeilenwirksamen Gefahren, aber mit dramatischen Auswirkungen auf die Bevölkerung – und vor allem nicht kleinräumig wie auf Gebirge beschränkte Muren und auf breite Flusstäler beschränkte Schlauchbooteinsätze. Mit anderen Worten, es gibt wesentlich trefflichere Argumente für einen Klimanotstand, als lokal eng begrenzte Ereignisse, die sich schwer bis unmöglich vorhersagen lassen.

 

 

Sublimation, Schmelzen und Tauen

Gleitschneelawinen

Südflanken des Faistenauer Schafbergs (1559m), auf den Wiesen sind mächtige Anrisse zu erkennen, die bei fortschreitender Erwärmung in der Sonne zu mächtigen Nass-Schneelawinen führen können.

„eine geringe Luftfeuchtigkeit lässt in den Bergen den Schnee auch bei Plusgraden nur langsam schmelzen“

(Ö1-Mittagjournal Wetter, gehört am 16.02.2019)

Natürlich ist das mit der relativen Luftfeuchte sehr anschaulich, aber strenggenommen ist es die Erklärung so nur halbrichtig. Denn es macht einen großen Unterschied für die Art der Schneedeckenreduktion, wie hoch die Plusgrade dabei sind. In der Meteorologie unterscheidet man dabei zwischen tauen, schmelzen und sublimieren.

Zustandsgrößen

Der Taupunkt ist jene Temperatur, auf die die Lufttemperatur abkühlen muss, um 100 % relative Luftfeuchte zu erreichen.  Je kleiner die Differenz zwischen Temperatur und Taupunkt, desto höher die relative Feuchte.

Die Feuchttemperatur liegt in etwa in der Mitte zwischen Temperatur und Taupunkt. Fällt Niederschlag in trockene Luft, so erhöht sich durch Verdunstung die relative Feuchte, d.h. der Taupunkt steigt und die Temperatur sinkt. Beide Größen nähern sich dabei der Feuchttemperatur an, die konstant bleibt und sich nur ändert, wenn die Luftmasse selbst ausgetauscht wird.

Bei 100 % relativer Feuchte gilt: Temperatur = Feuchttemperatur = Taupunkt.

Für die Frage, ob die Schneedecke taut, schmilzt oder sublimiert, gilt damit folgender Zusammenhang:

Sublimation

Frisch gefallener Schnee an einem Wintermorgen. Über Nacht hat es aufgeklart und die Temperatur liegt im Frostbereich. Tagsüber werden mit der Sonneneinstrahlung knappe Plusgrade erreicht. Eine andere Möglichkeit ist ein kräftiges Hochdruckgebiet mit milder und gleichzeitig extrem trockener Luft wie um den 16. Februar 2019 herum.

Taupunkt und Feuchttemperatur bleiben in beiden Fällen negativ. Dann sublimiert der Schnee, er geht direkt von der festen Phase (Eis) in die gasförmige Phase (Wasserdampf) über. Durch diesen Prozess nimmt die Schneedecke kaum ab und der Schnee bleibt pulvrig (trocken).

Schmelzen

Die Erwärmung in allen Höhenlagen setzt sich fort. Die Luftmasse wird insgesamt wärmer, womit die Feuchttemperatur den Gefrierpunkt überschreitet. Nur der Taupunkt bleibt noch negativ. Nun schmilzt der Schnee, er geht sowohl in die flüssige als auch in die gasförmige Phase über. Der Übergang in die flüssige Phase lässt die Bindungen zwischen den Eiskristallen aufbrechen und die Masse der Schneedecke nimmt schneller ab. Das ist derzeit insbesondere in den schneebedeckten Regionen in tiefen Lagen der Fall, wo tagsüber zweistellige Plusgrade erreicht werden, aber die relative Feuchte nicht unter 40% sinkt. In höheren Lagen bleibt die Feuchttemperatur mit Feuchten unter 30% weiterhin unter Null und Sublimation dominiert.

Tauen

Geht die Erwärmung noch weiter und die Nächte bleiben frostfrei, steigt der Taupunkt ebenfalls über die Nullgradmarke. Der Schnee beginnt zu tauen, er geht ausschließlich von der festen in die flüssige Phase über. Die Schneedecke rinnt wie Butter dahin.

Ein anderer Fall ist der Aufzug einer Warmfront. Anfangs fällt Schnee, insbesondere, wenn die Luft zuvor sehr trocken ist. Manchmal regnet es sogar zuerst, und mit der Verdunstungskälte geht die Temperatur nahe Null Grad, wodurch der Regen wieder in Schneefall übergeht. Reißt der Niederschlagsnachschub nicht ab, wird die Luft jedoch weiter durchfeuchtet und die Feuchttemperatur steigt immer weiter an, sodass der Schneefall schließlich wieder in Regen übergeht. So geschehen am 21. Januar 2012 in Wien, als zuerst Regen, dann Schneeregen, dann 5 cm Schnee fielen, ehe mit kräftig auffrischendem Wind alles in Regen überging und Tauwetter einsetzte.

Föhn

Ein Wort zum Föhn. Seinen undankbaren Ruf als Schneefresser verdankt der Föhn nicht der heißen Luft, sondern der Trockenheit, die durch ihn zustandekommt. Föhnluft zeichnet sich oft durch sehr trockene Luft bei begleitenden, starken Windböen aus. Da der Taupunkt dadurch häufig negativ ist, wird die Schneedecke überwiegend durch Sublimieren bzw. Schmelzen dezimiert, wobei der starke Wind diese Prozesse beschleunigt, und durch die trockene Föhnluft mit geringer Bewölkung viel direkte Sonneneinstrahlung auf die Schneedecke treffen kann – was vor allem ab dem Spätwinter und Frühjahr eine Rolle spielt.

Lawinengefahr

Ein letztes Wort zur Lawinengefahr bei dieser Witterung: Der Schnee bleibt zwar im Schatten und in den Hochlagen großteils erhalten, auch wenn die Schneehöhe durch Setzungsprozesse allmählich abnimmt. Das gilt aber nicht für der Sonneneinstrahlung ausgesetzte (steile) felsdurchsetzte Hänge und Grasflanken. Die Lawinengefahr kommt dabei von oben und unten. Einerseits war der Boden vor dem Beginn der extremen Neuschneeperiode Anfang Jänner nicht gefroren, sodass der Bodenwärmestrom für eine kontinuierliche Erwärmung der Schneedecke von unten sorgte. Die gesamte Schneemasse rutscht dann wie auf einer Seifenschicht zur Gänze ab und reißt dabei das Erdreich mit. Mit der kräftigen Erwärmung und ganztägigen Sonneneinstrahlung bei steigendem Sonnenstand wird die Schneedecke nun auch von oben durchfeuchtet und nass, die Schneedecke verflüssigt sich auf steilen Grasmatten zur Gänze. Daher wird die Gefahr von großen Nassschnee-Lawinen jetzt zunehmen, die Erdreich, Vegetation, Steine mitnehmen und Forstwege sowie Steiganlagen beschädigen oder zerstören können.

Sollte es nach dieser Wärmeperiode noch einmal deutlich kälter werden und Neuschnee geben, wird der lockere Neuschnee (meist Triebschnee) auf der harten, eisigen Altschneedecke kaum Verbindung zur Unterlage haben und die Schneebrettgefahr wieder ansteigen.