Blick vom Gernkogel nach Norden, links Hochkönig, rechts Tennengebirge (Quelle) – Sonntag, 19.08.2018, 08:00 MESZ
Hintergrund:
Dieses Wochenende hatte ich mir seit Wochen freigehalten, um auf den Hochkönig zu gehen, mit Übernachtung auf der Ostpreußenhütte (Aufstieg von Pfarrwerfen) und auf dem Matrashaus, Abstieg am Normalweg zum Arthurhaus. Der Übergang von der Ostpreußenhütte über den ehemaligen Gletscher („Übergossene Alm“) zieht sich ein wenig, bei schlechter Sicht kann es mit der Orientierung schwierig sein und bei Gewittern ist man dort oben exponiert und schutzlos. Selbst bei nebeligen und trocken Bedingungen hätte ich eher von dieser Tour abgesehen, weil meine Begleitung aus Wien angereist wäre und gerne etwas von der Landschaft gesehen hätte. Mich eingeschlossen. Dem Hüttenwirt vom Matrashaus zuliebe wäre ich trotzdem aufgestiegen, dann aber eher alleine. Sonst ist es ja gerade die imposante Umgebung, die den Reiz ausmacht, da muss ich nicht bei Nebel hochgehen.
Mit diesen Vorbedingungen waren also drei stabile Tage gesucht, mit maximal lockerer Quellbewölkung und höchstens zeitweiliger Sichteinschränkung am Hochplateau bzw. Gipfel. Die Gewitter- bzw. Niederschlagsneigung hätte höchstens an den Nachmittagen erhöht sein dürfen, am Anreisetag bestenfalls erst am späten Nachmittag.
Die – im Rückblick – besten Prognosen hatten die Wettermodelle genau eine Woche vorher, das war zugleich der Zeitpunkt, als ich auf der Ostpreußenhütte reservierte, auch die Prognose des Hüttenwirts auf Facebook am
Dienstag, 14. August 2018, traf genau ins Schwarze:
Ab Donnerstag scheint es wirklich besser zu werden und das Wochenende wie die letzten Wochen: Überwiegend sonnig, heiß und einzelne gewittrige Regenschauer.
Dazwischen traf mich das Schicksal des Meteorologen, denn ich hatte die ganze Woche Dienst und war damit zwangsläufig gezwungen, mir jeden neuen Lauf der Wettermodelle anzuschauen. Die waren keineswegs so konstant auf Schönwetter getrimmt wie es zunächst ausgesehen hatte. Das im vorletzten Beitrag gelobte GFS-Modell rechnete am Freitag, 17. August, weit mehr Gewitter im Westen als tatsächlich eintraten. Für Samstag, 18. August, war es vor allem vom Tiroler Unterland ostwärts schon vormittags gewittrig, und das besonders auch in den östlichen Nordalpen, wo gar nichts passierte, am Sonntag abklingende Niederschläge, aber nichts davon ist eingetroffen. Aber auch das europäische Modell, das weltweit führt bei den Prognosen, hat sich nicht mit Ruhm bekleckert. Es rechnete mal Nordstau, mal ganz trocken. Am besten war noch die Mittwochabendprognose (15.August, Feiertag), da war der Freitag gänzlich trocken, der Samstag nur bis Tiroler Oberland (so eingetroffen) und Sonntag schwacher Nordstau.
Am Donnerstag, als ich stornierte, sah es nicht mehr so rosig aus, und genau das ist der Knackpunkt. Ich sah mir speziell die vertikalen Feuchteprofile an, also wie wahrscheinlich kompakte tiefe Bewölkung war, die die höheren Gipfel hätte einhüllen können. Da war ab Samstag eindeutig frontale, mehrschichtige Bewölkung zu sehen, die sich am Alpennordrand sukzessive ostwärts ausbreitet und vor allem sonntags bis weit herab reicht.
Schuld an dem ganzen Desaster war ein über den Westalpen und den Balearen
südwärts abtropfendes Höhentief, mit einer schwachbrüstigen Trogachse über den Westalpen, verantwortlich für die erhöhte Gewitterneigung. Die Trogachse hätte sich ursprünglich nur langsam verlagern sollen, und der horizontale Temperaturgradient im Nordalpenbereich deutete auf flach einströmende, kühlere Luft hin, also eine Art Luftmassengrenze, was auch den Nordstau erklärt hätte. Irritierend für mich war von Beginn bei den Europäern, dass die Niederschlagssignale sehr gering und flächig waren, untypisch für Gewitterniederschläge, während sie bei den Amerikanern eindeutig gewittrig geprägt waren. Letzendlich hat sich der Trog viel schneller aufgefüllt, blieb deutlich westlicher und von tiefbasiger Schichtbewölkung konnte am Wochenende keine Rede sein. Stattdessen ganz normales Sommerwetter mit einigen Quellwolken, aber weit entfernt von mehr als isolierten Gewittern.
Die Wetterprognosen diverser App-Anbieter und der Wetterdienste waren uneinheitlich, gelinde gesagt. Zwischenzeitlich konnte ich die zu Schönwetter mit isolierten Gewittern neigenden Prognosen nicht nachvollziehen, sie waren letzendlich aber besser als das Wischiwaschi am Vortag „es können auch vormittags schon Gewitter durchziehen.“ – „es müsste trocken bleiben.“
100% Treffsicherheit hat man selten, gerade im Sommer. Gewitterlagen bleiben eine große Herausforderung für Wettermodelle und Meteorologen. So eine
große Inkonsistenz innerhalb von 7 Tagen habe ich aber schon lange nicht mehr erlebt, ebenso wenig ein so fundamental anderes Wetter als es die detaillierteren Modellkarten suggeriert haben. Das Prognosedebakel heißt nun nicht, den genannten (führenden) Wettermodellen nicht mehr zu trauen, sondern wieder stärker auf die Synoptik (Entwicklung der Wetterlage) zu achten, statt auf detailliertere Niederschlagsprognosen.
Die Synoptik hieß:
- Die Temperaturen bleiben auf sommerlichem Niveau (13-17°C in 1500m), damit ist es sehr unwahrscheinlich, dass hier frontale Bewölkung auftritt, weil sonst eine signifikantere Temperaturabnahme stattfinden müsste (reduzierte Tageserwärmung).
- Außerdem befindet sich die Nullgradgrenze dann weiterhin deutlich über 3000m. Erfahrungsgemäß fällt die Nullgradgrenze bei konvektiven Lagen häufig mit der Wolkenuntergrenze zusammen.
- Eine ausgeprägte Front (Thetae-Gradient) ist nicht beteiligt, der Trog bleibt westlich, damit kommt etwaige flach einströmende Kaltluft kaum ostwärts voran.
- Geringe Niederschlagssignale sind tendenziell übertrieben, mangels ausreichend mächtiger Bewölkung.
- Tagesgänge im Niederschlag deuten auf konvektiven Charakter hin.
Eine ansatzweise Erklärung für die in letzter Zeit häufiger zu optimistischen Niederschlagsprognosen ist die Großwetterlage seit April und die seit einigen Wochen anhaltende Trockenheit in weiten Teilen Mitteleuropas. Ähnlich wie im Jahrhundertsommer 2003 scheint es, als hätte die Trockenheit einen selbstverstärkenden Effekt, auch etwaige Niederschlagsfronten abzuschwächen.
Der nächste Anlauf ist eine sich annähernde Kaltfront am Freitag, vorlaufend sollen zuerst am Donnerstag im Nordwesten, am Freitag im ganzen Ostalpenraum Gewitter entstehen. Am Wochenende soll die Kaltfront über den Alpen verwellen (Italientiefentwicklung), mit teils ergiebigen flächenhaften Niederschlägen, die von Landwirtschaft und Berghüttenbetreibern schon sehnlichst erwartet werden. Wir werden sehen, ob so ein großräumigeres Wetterereignis besser erfasst wird als die potentielle Gewitterlage am Donnerstag und vor allem Freitag.