So einen Regen hat Graz im April noch nie gesehen: In Graz-Gries steht eine Messstation des Wasserwirtschaftsamts Steiermark, die laut ZAMG eine unglaubliche Summe von 161 Litern pro Quadratmeter (innerhalb von rund 3 Stunden) aufgefangen hat. Starke Überflutungen bis hin zur Unterspülung von Häuserfundamenten waren vorprogrammiert (siehe Bericht ORF, abgerufe am 18.04.18).
Die Erklärung für das 100-jährliche Ereignis empfinde ich als mundgerecht für den Durchschnittsleser, geht aber meines Erachtens an der wahren Ursache vorbei.
Schuld an dem Regen war ein Adria-Tief, das von Süden her bis in den Raum Graz zog. Während sich normalerweise solche Wolken friedlich ausregnen, türmten sich am Dienstag die Gewitterwolken auf – schuld daran sei die Sonne gewesen, so Albert Sudy von der ZAMG: „Heftige Gewitter sind immer dann zu erwarten, wenn labile Luftmassen daherkommen und diese dann gehoben werden – einerseits durch Sonneneinstrahlung, das sind die Wärmegewitter, andererseits können sie auch gehoben werden durch Fronten, wenn beispielsweise Kaltfronten hereinkommen. Und im Gebirge kann es auch noch verstärkt werden durch orografische Hebung, wenn diese Luftmassen an den Bergen zum Aufsteigen gezwungen werden.“
In der Kleinen Zeitung (abgerufen am 18.04.18) wurde Sudy etwas konkreter:
Doch dazu kam noch etwas: Die Gewitterfront blieb über Graz stehen. Sudy vermutet, dass der lokal erzeugte Abwind dazu führte, dass die Zugrichtung nach Norden aufgehalten wurde und die riesigen Gewitterzellen über der Stadt verblieben. Und dann: „Ein Sonnenstrahl war der Zündfunke“, sagt Sudy.
Ich würde grundsätzlich anders argumentieren:
Großräumiger Hebungsantrieb und Luftmassengrenze
Chuck Doswell, ein berühmter Gewitter- und Tornadoforscher aus den USA (den ich selbst einmal kennenlernte durfte), ist der Ansicht, dass Sonneneinstrahlung (und Auslösungstemperaturen) nie alleine ausreichen, um Gewitter zu erzeugen. Es gibt immer einen Hebungsmechanismus durch eine (lokale) Front, die vielleicht nicht immer sichtbar ist aus den Messdaten.
Tatsächlich war die Windkonvergenz nicht auf lokale Abwinde durch das Grazer Gewitter beschränkt, sondern viel großräumiger und reichte von den Mürzsteger über die Fischbacher Alpen bis in die Südsteiermark, quer durch Graz hindurch. Das erklärt, weshalb der Westen viel stärker betroffen war als der Osten. Ein weiterer Umstand deutet auf eine Front oder Luftmassengrenze als Hauptverursacher hin, nämlich die Taupunkte:
Von Oberkärnten über die Obersteiermark bis ins Industrieviertel strömten deutlich niedrigere Taupunkte ein, während sie in der südöstlichen Steiermark sowie über Slowenien ein Maximum erreichten. Damit lag auch die energiereichste Luftmasse östlich und südlich der oben eingezeichneten Windkonvergenz.
Die Gewitter, insbesondere die ortsfesten Gewitter (siehe Radarloop im Link der „Kleinen Zeitung“) zündeten entlang einer Luftmassengrenze. Die Sonneneinstrahlung mag zusätzlich mitgeholfen haben, nötig war sie aber nicht, denn Gewitter entstanden auch über dem Wechsel-Semmering-Gebiet unter dem dichten Cirrusschirm und keiner Sonne.
Die Konvergenz am Boden wurde synoptisch-skalig, also großräumig in der Höhe, erzeugt (nun wirds ein bisserl technisch):
Beide speziellen Modellanalysekarten zeigen einen übergeordneten Antrieb für Hebung, einerseits durch Divergenz in der Höhe, andererseits durch eine Trogachse über Westösterreich, die in Verlängerung bis zur oberen Adria reichte, wo ein neuer Tiefkern entstand.
Einfluss von Saharastaub auf die Intensität der Gewitter?
Ein weiterer Faktor, der in keinem Medienbericht erwähnt wurde, war das Beisein enormer Mengen an Saharastaub:
Das Satellitenbild zeigt, wie weit der Saharastaub nach Norden reichte. Südlich vom italienischen Stiefel und von Griechenland sieht man den Staub anhand der leichten Trübung über der schwarz dargestellten Wasseroberfläche. Die südliche Steiermark bildet hier auch optisch eine Luftmassengrenze, zwischen staubreicher Luft im Osten und „sauberer“ Luft weiter westlich.
Was hat es nun mit dem Staub auf sich? Eine mögliche Erklärung findet man ganz woanders, nämlich der Einfluss von Saharastaub auf Gewitter in Florida. Kurz zusammengefasst: Saharastaub bringt zusätzliche Kondensationskeime in die Atmosphäre, an die sich Wassertröpfchen anlagern können. Je größer die Kondensationskeime, desto effektiver die Niederschlagsbildung.
Alle weiteren, in meinen Augen entscheidenden Zutaten für die unwetterartigen Regenmengen werden nachfolgend aufgelistet:
- für die Jahreszeit ungewöhnlich feuchte und energiereiche Luftmassen
- für mehrere Stunden nahezu ortsfeste Luftmassengrenze (= lange Verweildauer der Niederschlagsgebiete)
- günstige Bedingungen für Neubildungen entgegen der Zugrichtung der Gewitter (feuchtere und energiereichere Luft im Süden, abnehmende Höhenströmung- zudem parallel zur Luftmassengrenze, allgemein feuchte Umgebungsluft und kaum starke Auskühlung am Boden, welche kräftige Windböen und Verlagerung der Gewitter erzeugen könnte) – vergleichbar mit Reif, der gegen den Wind wächst
- für die Jahreszeit hohe Nullgradgrenze bei Gewittern und damit vorherrschende Koaleszenzprozesse bei der Niederschlagsbildung (große Tropfen kollidieren und fällen sofort aus), was die Niederschlagsrate erhöht
Für das Ergebnis (Überflutungen) wurde ein weiterer Faktor im Artikel genannt: Die Massen an kleinkörnigem Hagel, welche die Kanalisation verstopften. Kleinkörniger Hagel in großen Mengen ist damit nicht nur für die Landwirtschaft ein Problem (Ernteschäden), sondern speziell auch für die Infrastruktur im städtischen Raum. Für soviel (kleinen) Hagel waren die Bedingungen ebenso günstig, durch langsam ziehende Gewitter, viel Energie (rund 1000-1500 J/kg) und die hohe Nullgradgrenze bei gleichzeitig sehr feuchter Umgebungsluft (große Hagelkörner schmelzen, bevor sie den Boden erreichen).
Die Stadt Graz und Umgebung sind von der Geländeform ohnedies anfällig für Überflutungen und Vermurungen, durch die hügelige Landschaft, durch Felder und Gräben.
In Summe erhält man eine Konstellation an Bedingungen, die nur etwa alle 100 Jahre zusammenkommt.
Klimawandel?
In meinen Augen lässt sich schwer quantifizieren, welcher Faktor nun ausschlaggebend für die Rekordmengen war. Von einem Einzelereignis insbesondere mit dieser Kombination an begünstigenden Faktoren kann man nicht auf klimatologische Veränderungen schließen. Hätte auch eine durchschnittlich feuchte und energiereiche Luftmasse bei gleicher Verweildauer ausgereicht? Wohl mit geringeren Absolutmengen. Auch der Einfluss des Saharastaubs lässt sich ohne Kenntnis der genauen Mengen nicht nachvollziehen. Ins Bild der letzten Jahre passt dieses Einzelereignis dennoch, denn die Wetterlagen mit langsamer Zuggeschwindigkeit und längerer Verweildauer von Gewitterzellen haben zugenommen, und damit gehen zwangsläufig auch ergiebige Niederschlagsmengen mit einher.
Quelle Abb.1+2: https://kachelmannwetter.com/de/messwerte
Quelle Abb. 3+4: http://www1.wetter3.de/