Der Föhnsturm am Morgen des 30. Oktober 2018 , fast genau ein Jahr nach Orkan HERWART (ich habe darüber gebloggt) war ein denkwürdiges Ereignis, das nach einer Nachbetrachtung verlangt. Die Vorgeschichte war geprägt von intensivem Südstau mit enormen Regenmengen an der Alpensüdseite.
Regenmengen innerhalb 72 Stunden:
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- Casera Pradut, 1431m (südliche Karnische Alpen): 850 l/m²
- Plöckenpass (Kärnten): 627 l/m²
- Camedo (Tessin): 529 l/m²
- Kötschach-Mauthen (Kärnten): 442 l/m²
- Bignasco (Tessin): 434 l/m²
- Intragna (Tessin): 418 l/m²
- Kornat (Kärnten): 415 l/m²
- Rotwandwiesen in Sexten (Südtirol): 370 l/m²
- Dellach (Kärnten: 348 l/m²
- Locarno (Tessin): 279 l/m²
An der Gader (Südtirol) wurde ein 100-jährliches Hochwasser erreicht, an der Möll (Flattach) nur knapp verfehlt, an Gail und Drau war es HQ30.
Durchzug der Kaltfront am Montagabend (29. Oktober 2018)
Am Montagnachmittag erreichte die Kaltfront über Italien ihren Höhepunkt an Gewittertätigkeit, die Okklusion hat sich um den Westalpenbogen herumgewickelt. Die violette Färbung in der Zirkulation rückseitig der Kaltfront deutet auf Stratosphärenluft hin.
Danach nahm die Blitzaktivität deutlich ab, es gab aber selbst über den Südalpen von Kärnten über die südliche Steiermark bis nach Niederösterreich noch einzelne Entladungen. Auffallend ist hier, wie die trockene Höhenluft rückseitig der Kaltfront den Sprung über die Schweizer Alpen und Jura nach Ostfrankreich schafft. Der Bodentiefkern bleibt am Weg vom Mittelmeer nach Benelux stets im Westalpenraum.
In Salzburg ging die Kaltfront von Südwesten (!) zwischen 22.20 und 23.20 mit kräftigem Südwind (26kt im Mittel am Flughafen, Spitzen 37kt) durch, zwischen 22.50 und 23.20 wurden außerdem mäßige Regenschauer gemeldet. Danach schwächte sich der Südwind deutlich ab. Lediglich gegen 03.00 Uhr wurden nochmal 35kt Spitzen gemessen.
Randtiefbildung über der Schweiz
Etwa zwischen 21.00 und 22.00 MEZ tritt über der Nord- und Zentralschweiz ein Prozess in Gang, der erst am Folgetag gegen Mittag über den Osten Österreichs abgeschlossen sein wird. Es handelt sich um ein kleines abgeschlossenes Bodentief (Randtief), das nördlich des Alpenhauptkamms rasch nach Osten zieht. Es hat sowohl Eigenschaften eines dynamisch erzeugten Tiefs (darauf weisen die folgenden Wasserdampfbilder hin) als auch eines Leetiefs, weil erst auf der Alpennordseite entstanden und nur in niederen Luftschichten ausgeprägt.
Anhand der isallobarischen Druckänderung (3-stündig) der Wetterstationen (für jeden anhand der Archivkarten auf der Kachelmannwetterseite nachvollziehbar) habe ich den Verlauf des Randtiefs nachgestellt. Es gibt wesentlich mehr Druckänderungswerte als absolute Luftdruckwerte auf Meeresniveau. Ort des stärksten Druckfalls und Kerndruck des Randtiefs sind also nicht identisch! Die stärksten Windspitzen in Salzburg traten zwischen 06.00 und 07.00 MEZ auf.
Das Drucksignal ist auch in den ZAMG-Stationsdaten (Grafik der letzten 7 Tage, verfällt auf der ZAMG-Seite) zu sehen.
Bei beiden Wetterstationen gibt es ein erstes Druckminimum unmittelbar vor Kaltfrontdurchgang (ca. 21.30 in Achenkirch, 22.30 in Salzburg), gefolgt von einem zweiten, stärkeren Druckfall kurz vor bzw. nach 6.00 Uhr. Der Druckfall in Salzburg von 8 hPa innerhalb einer Stunde ist so wahrscheinlich an keiner anderen Stationsgrafik abgebildet. Wenn auch nicht ausgeschlossen ist, dass am bayrischen Alpennordrand ähnliche Druckschwankungen aufgetreten sind. In jedem Fall sehr markant. Weil der Luftdruck inneralpin deutlich geringer gesunken ist, entstand für eine knappe Stunde ein Druckgradient von 8 hPa auf 30km Distanz. Sowohl in Achenkirch als auch in Salzburg traten die höheren Windspitzen mit dem zweiten Druckminimum auf. Die Windspitzen, welche auf der Festung das Dach abdeckten als auch die Sturmschäden im Bereich der Zistelalm am Gaisberg dürften aber weitaus höhere Windgeschwindigkeiten erreicht haben als in Freisaal und Flughafen gemessen, geschätzt eher über 130km/h.
Am Brunnenkogel (3440m, Ötztaler Alpen) ist der Durchgang des Randtiefs nicht in den Windspitzen sichtbar, während am Patscherkofel damit die höchste Böe (knapp 170km/h) gemessen wurde [die Windspitzen weiterer Stationen des Lawinenwarndiensts werden noch nachgetragen]. Auch das weist darauf hin, dass das lokale Druckminimum eher weiter nördlich durchging und sich nicht in mittleren Luftschichten windmäßig auswirkte.
Noch bevor ich das mit dem Druckminimum in den Bodenwetterkarten und in den Stationsdaten entdeckte, fiel mir ein dunkler Streifen („dark stripe“, „Streamer“) im Wasserdampfbild auf, der über der Schweiz begann (vgl. RGB-Satellitenbild um 22.00 MEZ oben), und sich entlang der Nordalpen in der zweiten Nachthälfte fortsetzte:
Der zeitliche Ablauf stimmt relativ genau mit der räumlichen Verlagerung des stärksten Druckfalls überein. Er kennzeichnet einen deutlichen Rückgang der relativen Feuchte in der oberen Troposphäre, bzw. ein PV-Maximum (potentielle Vorticity), vereinfacht gesagt eine Hebungszone, die von höheren Luftschichten her induziert wird.
Außerdem passt die Ostwärtsverlagerung der trockenen Zone im Wasserdampfbild gut zur Vorderkante der violetten Luftmasse. In der IPV-Theorie (Isentrope potentielle Vorticity) ist diese Luftmasse häufig mit hohen IPV-Werten verbunden:
Tatsächlich wurden sehr hohe IPV-Werte analysiert, die gut zu der räumlichen Lage der violetten Färbung im Luftmassenbild passen.
In Summe bleiben ein paar Fragen offen:
Die Wettermodelle haben dieses sehr kleinräumige Bodentief im Nordalpenbereich gut aufgelöst und eine West-Ost-Verlagerung von kräftigen Höhenwinden zwischen 1000 und 2000m gezeigt. Infolge des Föhndurchbruchs nach der Kaltfront bzw. während der Kaltfront (= Dimmerföhn: Föhn und Niederschlag gleichzeitig) war die Talatmosphäre gut durchmischt. Mit der Zunahme der Höhenwinde wurden diese mehr oder weniger eins zu eins an das Talniveau weitergegeben. Zusätzlich wirkte lokal aber der rasante Druckfall und damit die Verstärkung des horizontalen Druckgradienten in Talniveau.
Das kleinräumige Bodentief wurde dynamisch gestützt, wie sowohl das längliche Phänomen im Wasserdampf-Satellitenbild („PV-Maximum“) als auch der Durchzug des großräumigen IPV-Maximums belegen. Ein Luftmassenwechsel ging damit aber nicht einher, auch kein auffälliger Bewölkungsdurchzug. Damit scheidet ein klassisches Randtief oder eine Wellenbildung aus. Die genaue Klassifizierung des Tiefdruckgebildes bleibt für mich daher rätselhaft. Aber das ist das Schöne an der Meteorologie: Es gibt immer wieder Phänomene zwischen Himmel und Erde, die rätselhaft bleiben und erforscht werden müssen.