Bei Sturmtief Burglind handelte es sich um ein vollentwickeltes Sturmtief. Im Gegensatz etwa zu Sturmtief HERWART oder auch KYRILL (2007), EMMA (2008) oder LOTHAR (1999) traten die Sturm- und Orkanböen jedoch ausschließlich an der Kaltfront sowie rückseitig im Höhentrog auf.
Ausgewählte Stationen entlang der Kaltfront mit Spitzenböen:
- Metz-Nancy (264m): 135 km/h (07 Uhr)
- Karlsruhe-Siemens (116m): 113km/h (08 Uhr)
- Waibstadt (237m): 126 km/h (09 Uhr)
- Basel-Flughafen (270m): 119 km/h (10 Uhr) und 128 km/h (11 Uhr)
- alle 12 Uhr:
- Freudenstadt (796m): 139 km/h
- Luzern (454m): 124 km/h
- Goldau-Tierpark (578m, 30m hoher Aussichtsturm): 226 km/h! (Orkan Lothar hat hier 1999 80% des Waldbestands zerstört)
Zahlreiche Schweizer Stationen meldeten Orkanböen über 150km/h, einzelne nahe 200 km/h, alles keine 4000er, sondern zwischen 500 und 1500m!
In Salzburg blieben die Spitzen mit Kaltfrontdurchgang unter 70km/h, erst am Abend im Höhentrog drehte der Westwind auf und brachte knapp an die 80km/h. In Innsbruck gab es keine nennenswerten Böen, obwohl selbst im Lechtal (Holzgau, Tannheim, Reutte) teils schwere Sturmböen gemessen wurden.
Die Lokalmodelle haben den Durchgang der Kaltfront vom Tiroler Oberland ostwärts teilweise deutlich überschätzt. Selbst für das Salzburger Becken bis Flachgau waren noch 100-110 km/h erwartet worden. In Innsbruck hätte ich selbst markante Nordföhnböen erwartet. Die Ursachen sind wie so oft vielschichtig, hier sogar wortwörtlich, denn die Kaltfront zog gestaffelt durch, als sogenannte „split front„. Dies passiert dann, wenn der trockene Oberstrom (oben mit „Dryslot“ beschriftet), der extrem trockene Luft stratosphärischen Ursprungs beinhaltet, die Kaltfront überrennt und damit zu einer deutlichen Absenkung der Wolkenobergrenzen führt (oberer Kreis). Trockene Luft oben, feucht(wärmer) Luft unten bedeutet aber eine Labilisierung der Luftmasse und zunehmende Schauer- und Gewitterneigung. Der nicht überrannte Teil der Kaltfront behält die hohen Wolkenobergrenzen bis zum Cirrenschirm bei und ist entsprechend kompakter (unterer Kreis). Damit es nicht zu durcheinander wird, gehe ich nach Regionen:
Ostfrankreich und Schweiz … hatten mit die Abstand schadensträchtigsten Auswirkungen des Sturmtiefs abbekommen.
Sie lagen jeweils im linken Ausgangsbereichs des Jetstreams, wo die stärkste Hebung stattfindet. Der Jetstream war dort zugleich am stärksten (Payerne, 13 Uhr MEZ: 150 Knoten in 9 km Höhe, umgerechnet 277 km/h).
Die Luftschichtung war mitten im Kernbereich des Dryslots am labilsten (ebenfalls Payerne 13 Uhr: trocken-labil bis 1500m, feuchtlabil bis ca. 6000m), damit konnte es den kräftigen Höhenwind am leichtesten zum Boden herabmischen.
Die Verlagerung der Kaltfront fand in dieser Region im rechten Winkel zur Ausrichtung statt, d.h. von Nordwest nach Südost. Das erzeugt die stärksten Luftmassengegensätze und entsprechend frontalen Antrieb mit Ausbildung einer schmalen, bogenförmig angeordneten Gewitterlinie.
4 Die relative Druckänderung (3-stündig) erreichte über 9 hPa dort ihr Maximum.
Nordtirol (Inntal) bis Salzburger Land und Oberösterreich.
Grundsätzlich war der split-front-Charakter hier schon viel stärker ausgeprägt als weiter westlich und verlangsamte den Durchzug der Kaltfront durch. Sie bewegte sich eher strömungsparallel und weniger ausgeprägt im rechten Winkel zur Ausrichtung.
Die Gewitter entwickelten sich fast ausschließlich an „split front 1„, dem vorderen Frontbereich mit den höheren Wolkenobergrenzen. Bodennah zeigte sich hier eine „surface heat axis“ mit 10-14°C, weiter südlich und nördlich lagen die Temperaturen deutlich niedriger. Entsprechend viel Wasserdampf war enthalten und erzeugte kräftige Niederschläge. Diese waren jedoch flächig angeordnet, nicht linienhaft, was ein Hinweis auf nicht allzu hohe Windgeschwindigkeiten ist.
Im Inntal ist das gewichtigste Argument für das Ausbleiben kräftiger Nordföhnböen die fehlende Höhenkaltluft. Bis 14 Uhr MEZ sank die Zugspitze-Temperatur (2963m) von -5 bis auf -12°C. Bei voller Durchmischung hätte Innsbruck (580m) knapp 24°C wärmer sein müssen, um den Höhenwind in 3000m Höhe voll abzubekommen, d.h. +19 bzw. +12°C. Tatsächlich krebste Innsbruck konstant bei +2°C herum. Seefeld (1180m) hatte konstant +1°C, hätte aber +13 bzw. +7°C benötigt (Zugspitze). Manchmal gibt es Nordföhn auch deutlich unterhalb Zugspitzniveau, doch für Seefeld hätte Innsbruck +7°C benötigt, auch das ging sich nicht aus. Anhaltender Niederschlag hielt die Temperatur im Tal niedrig und die Talluft feucht. Das begünstigt ein Durchgreifen des Höhenwinds nicht.
Ausbleibende bzw. schwache Schauer am Alpennordrand nach der Kaltfront
Als die Gewitterlinie durch war, passierte nicht mehr viel in Sachen Schauern, insbesondere nicht von den Bayrischen Alpen ostwärts. Hierzu möchte ich auf die Isolinien der geopotentiellen Höhe aufmerksam machen. Je enger die Linien beisammen sind, desto stärker ist der Höhenwind. Über Frankreich bis Westschweiz sind sie sehr dicht zusammen (= Verlauf des Jetstreams), doch über Vorarlberg, Nordtirol, Südbayern und Salzburg fächern sie deutlich auf. Ein Auffächern ist gleichbedeutend mit einer Abnahme der Höhenwinde. Die Luftströmung wird regelrecht gestaucht wie bei einem Auffahrunfall. Die überschüssige Luft muss irgendwo hin und kann nur absinken. Absinkende Luftbewegung wirkt aber der Labilität einer Luftmasse entgegen und verringert somit die Schauerneigung und -intensität.
Das sieht man gut im Vertikalprofil von München um Mitternacht (01 Uhr). Bis ca. 2500m Höhe ist die Luftschichtung noch trocken-labil, darüber stabil geschichtet mit der charakteristischen Absinkinversion. Schauerbildung findet bei so einem Profil nahezu nicht statt, allenfalls ein wenig Stau am Gebirge. Weil der Wind am Alpennordrand jedoch recht hartnäckig aus West kam, fiel auch die Staukomponente (Nordwest) weg.
Der Splitfront-Charakter war auch von den Globalmodellen durchaus angedeutet (sehr breiter Kaltfrontdurchgang mit hohen Niederschlagsintensitäten), ein wenig überraschend war es für mich dann aber trotzdem, dass trotz Gewitter die Spitzenböen in weiten Teilen Österreichs deutlich geringer waren als über der Schweiz und Süddeutschland.
PS: Manche Medien (z.b. ORF) berichteten (zumindest) anfangs, dass „ein“ Sturm in Frankreich zu 200 000 Haushalten ohne Strom führte. Dieser Sturm war BURGLIND (bzw. in UK auch ELEONOR genannt). Solche Berichte suggerieren öfter, dass verschiedene Stürme am Werk seien. Weil Frankreich meteorologisch gesehen meistens stromaufwärts liegt, handelt es sich um dasselbe Sturmtief.