Mit dem Paragleiter ins Gewitter (19.07.19)

Der ORF berichtet (abgerufen am 31.07., 19.35 Uhr) derzeit von einem Paragleiter-Piloten, der am 19. Juli 2019 von einer Gewitterwolke 6500 Meter weit in die Höhe gerissen wurde und später glimpflich notlanden konnte.

„Ich bin mit Freunden am Schöckl gestartet. Wir sind bis Bruck an der Mur geflogen, dort war das Wetter nicht mehr schön und wir sind zurückgeflogen und haben gesehen, dass im Burgenland schönstes Wetter ist. Plötzlich sehe ich auf der rechten Seite eine große Wolke über Oberwart. Ich habe versucht sie südlich zu umfliegen, im schönen Sonnenschein, das hat sich aber als Trugschluss erwiesen, denn dort ist die nächste Gewitterzelle entstanden. Sie hat mich dann innerhalb einer halben Stunde plötzlich auf 6.500 Meter hinaufgezogen“,“

[…] ist seit zwölf Jahren ein begeisterter Paragleiter und absolvierte bereits weit mehr als 3.000 Starts. Ein derartiges Wetterphänomen hat er allerdings noch nie erlebt.

Schauen wir uns einmal an, was da offensichtlich schiefgegangen ist:

Wetterlage: Gewitteranfällig!

1

Großwetterlage am Freitag, 19.07.2019, 14.00 MESZ

Die Großwetterlage zeigt ein kräftiges Tiefdrucksystem, bestehend aus zwei Kernen über Westeuropa und eine ziemlich flache Druckverteilung (nur eine Isobare in der 5-hPa-Isolinien-Auflösung) über dem Alpenraum mit mehreren kleinräumigen Tiefkernen. Die Höhenströmung in 5,6km Höhe ist eher diffluent (Isohypsen fächern auseinander) und hebungsfördernd. Dazu nimmt die relative Topographie ab, was auf Kaltluftadvektion in der Höhe hindeutet (Keilvorderseite). In Summe also keine stabile Wetterlage.

2

Luftmassen anhand 850 hPa Thetae, 14.00 MESZ

Die zugehörige Luftmassenkarte zeigt keine markanten Gradienten, die auf nennenswerten Frontantrieb hindeuten würden, aber eine Andeutung einer Thetae-Achse von Polen über den Osten Tschechiens bis ins Burgenland und südliche Steiermark. An dieser Achse ist die Isobarenkrümmung außerdem zyklonal (konvex), sodass man auf eine Feuchtekonvergenz in der Grundschicht schließen kann.

3

Windfeld in 850 hPa (ca. 1,5km Höhe), 14.00 MESZ

Die Analyse des Windfelds verrät uns außerdem, dass an der Alpensüdseite südliche Winde vorherrschten, mit Andeutung eines konvergenten Windfelds unmittelbar südlich des Alpenhauptkamms.

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Windrichtung am 19.07.2019, 14.00 MESZ – Quelle

Die Bodenwindkonvergenz zeigt sich auch vage in den Beobachtungen zum gleichen Zeitpunkt, wo nördliche Winde auf südliche Winde treffen, bzw. West-Ostwinde über der Westslowakei.

4

Wetterballonaufstieg von Graz, 05.00 MESZ – modifizierte Temperatur/Taupunktkurve mit aktuellen Beobachtungen um 15.00 MESZ.

Der Morgenaufstieg war oberhalb etwa 900 hPa bereits recht labil geschichtet, zum Nachmittag hin wurde die scharfe Bodeninversion durch die Sonneneinstrahlung (Zitat oben: „im schönen Sonnenschein“) weggeheizt. Die Bodenfeuchte hat sich wenig geändert (Taupunkte +/-1 Grad Celsius), aber die Grundschicht insgesamt ist feuchter geworden (Rax und Schöckl je +9°C Taupunkt). Der Schnittpunkt aus trockenadiabatischem Temperaturaufstieg (rote Linie) und Sättigungsmischungslinie (lila) ergibt die Wolkenuntergrenze in rund 1800m Höhe. Ab da ist ungehinderter Aufstieg (orangene Kurve) bis zur Tropopause möglich – in diesem Fall bis etwa 11,5km Höhe. Es gibt Programme, mit denen man die dann vorhandene Labilität (CAPE) ausrechnen kann, hab ich aber nicht zur Hand – ich schätze erfahrungsgemäß auf über 1000 J/kg.

Oben war dann der Schirm vereist, minus 25 Grad, Fluggeschwindigkeiten um die 100 km/h

Dabei können extreme Steigraten (über 40 m/s) erreicht werden. Dann käme das mit der halben Stunde auf 6500m nicht hin. Der Paragleiter muss sich daher am Rande der Gewitterwolke befunden haben – die Aufwinde waren dort viel schwächer, bei 100 km/h sind das 27,7 m/s. Immer noch viel.

Die angegebene Höhe verrät uns außerdem, dass der Pilot etwa auf halber Höhe der Gewitterwolke angelangt ist.

 

Die Angaben stimmen in etwa mit dem Aufstieg überein, wobei es im Bereich der Gewitterwolke durch Niederschlagskühlung/Verdunstungsprozesse deutlich kälter sein kann. Der Bereich zwischen -10 und -30°C markiert außerdem jenen der Hagelwachstumsschicht, also dort, wo Hagelembryos zu Hagelschloßen heranwachsen. Die hat er noch durchflogen, bevor sein Schirm wegen dem Eis zusammengeklappt ist.

Die Kombination aus Bodenwinden aus Süd bis Südost und stärkeren Nordwestwind in der Höhe ist außerdem dafür berüchtigt, dass organisierte Gewitter (Auf- und Abwinde räumlich getrennt, dadurch längerlebige und kräftigere Gewitter) entstehen können.

Die Wetterlage war insgesamt förderlich für Schauer und Gewitter. Hebungsantrieb war durch die diffluente Höhenströmung und Bodentiefdruckrinnen gegeben. Dazu waren sehr labile Luftmassen vorherrschend. Die Feuchteeinschübe in der Höhe begünstigten außerdem kleinen bis mittelgroßen Hagel.

Die Prognosen unterstützen diese Schlussfolgerung – ich habe bewusst die 00 UTC-Läufe herangezogen, die gegen 06.00 MESZ erscheinen, also noch für die Planung herangezogen werden können. Der Pilot muss sich natürlich auch flugmeterologische Produkte anschauen – diese hier anzuführen, würde aber meine Kompetenz bei dieser Rückschau überschreiten (das ist Aufgabe offizieller Untersuchungen).

US-Global Forecast System (GFS)

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GFS vom 19.07., 00 UTC, gültig für 12-18.00 MESZ

EZWMF (Europäer)

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EZMWF vom 19.07., 00 UTC, gültig für 15-18 MESZ

Euro4 (Briten, Lokalmodell)

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Euro4 vom 19.07., 00 UTC, gültig für 15-18 Uhr MESZ

Alle Modelle zeigten im fraglichen Zeitraum und in der Region Oststeiermark und Süd/Mittelburgenland deutliche Niederschlagssignale.

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6-Std.-Radarsumme am 19.07.2019, 12-18.00 MESZ (Quelle)

Der Vergleich mit den Radarsummen anhand der Wetterradarreflektivität zeigt, dass GFS und Euro4 die Intensität und Lokalität der Schauer und Gewitter besser erfassten als das EZWMF. Insgesamt war die Wetterlage also gut erfasst worden und schon in der Früh waren Schauer und Gewitter in der Region absehbar.

In der HEUTE-Zeitung wird außerdem als Zeitpunkt der Landung 17.00 MESZ genannt, er sei demnach zwei Stunden unterwegs gewesen. Das entspricht relativ genau dem Zeitraum der obigen Modellprognosen (15-18 Uhr).

Um 15.00 Uhr befanden sich bereits etliche größere Quellungen entlang der oben analysierten Bodenkonvergenz von Oberkärnten über die Obersteiermark bis ins Industrieviertel. Im Südburgenland und in der Südoststeiermark noch wolkenlos.

Um 15.45 Uhr war es dort allerdings nicht mehr so sonnig, denn es hatten sich größere Quellungen bis hin zu Gewittern über dem Südburgenland und der mittleren Steiermark gebildet.

Die Zelle „rechts“ von ihm über Oberwart ist links am Bild zu sehen, die kurzzeitig und nur für 1,2 Pixel die höchste Reflektivität erreichte. Beim Versuch, die Zelle südlich zum umfliegen geriet er in eine Neubildung weiter östlich (rechtes Bild). Mit dem Durchzug der Gewitter drehte der Bodenwind von Süd auf Nord bis Nordost und trieb den Paragleiter nach Süden bis Stegersbach ab.

Schlussfolgerung:

Das Wetterphänomen war normal – eine normale gewitteranfällige Wetterlage mit frühzeitig hochreichenden Quellwolken und einsetzender Schauer- und Gewitterbildung. Im Südburgenland profitierten die Gewitter vom wolkenlosen Himmel, so konnte es dort noch länger voll einheizen und weiter labilisieren. Das Gewitter, in das der Paragleiter geriet, war kräftig und scherte leicht aus bei der Fortbewegung, also etwas organisierter, was zum Windfeld passt und nicht verwundert. Die Reflektivität war aber nur kurzzeitig maximal, danach hat es sich schon wieder etwas abgeschwächt, evtl. auch durch die Interaktion mit den Nachbarzellen. Was bleibt als Résumée? Auch Profis können sich irren und eine (Gewitter-) Lage falsch einschätzen. Die meisten Paragleiter werden so eine Situation hoffentlich nie erleben – weil sie wieder unten sind, bevor die Gewitterwolken in den Himmel schießen.

 

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Über Forscher (in Kooperation mit Meteoerror)

Quelle: Blog | https://meteoerror.wordpress.com ein Medienwatchblog, dessen Schwerpunkt auf der Darstellung meteorologischer Sachverhalte in den Medien liegt. über den Autor: abgeschlossenes Diplom-Studium der Meteorologie & Geophysik in Innsbruck | seit 2010 Berufsmeteorologe | umfassendes Interesse für meteorologische Phänomene wie Föhn, Tornados, Gewitter, Schnellläufer (Stürme), Talwindsysteme | fühlt sich dem Gewissen verpflichtet, über irreführende Darstellungen meteorologischer Sachverhalte in den Medien aufzuklären.